Quantenchemie 1 - Atomorbitale am Beispiel des Calciums
Dieser Blogeintrag behandelt die Verwendung von Quantenchemieprogrammen in mehreren Teilen.
Zunächst zeige ich die quantenmechanische Berechnung simpler Atome und visualisiere die Atomorbitale. Wenn dies weitgenug vorangeschritten ist, werden diese simplen Bausteine zu Molekülen kombiniert.
Kalzium
Die atomare Struktur von Kalzium soll analysiert werden. Zunächst werden einige Fakten dieses Erdalkalimetalls und wichtigen Knochenminerals präsentiert. Wikipedia schreibt:
Calcium, oder Kalzium, ist ein chemisches Element mit dem Elementsymbol Ca und der Ordnungszahl 20. Im Periodensystem steht es in der zweiten Hauptgruppe und zählt daher zu den Erdalkalimetallen.
Elementares Calcium ist ein glänzendes, silberweißes Metall. In der Umwelt kommt Calcium nur in gebundener Form als Bestandteil von Mineralien vor. Zu diesen Mineralien gehören z. B. Kalkstein (auch als Calcit, Kalkspat oder Marmor), Kreide und Gips. Außerdem ist Calcium ein wesentlicher Bestandteil der Knochen.
Calcium ist weicher als Blei, lässt sich aber mit einem Messer nicht schneiden. In der Luft läuft es schnell an. Mit Wasser reagiert es heftig unter Bildung von Calciumhydroxid und Wasserstoff. An der Luft verbrennt es zu Calciumoxid und – geringfügig – Calciumnitrid. Fein verteiltes Calcium ist selbstentzündlich.
Calcium gehört zu den Erdalkalimetallen. Es liegt in chemischen Verbindungen fast nur in der Oxidationszahl +2 vor.
Quantenchemische Berechnung
Um eine Entität quantitativ zu beschreiben braucht es eine Basis. Wenn diese in systematischer Weise geeignet definiert wurde, sprich vollständig ist, kann damit jede Entität beschrieben werden. So ist jede periodische Funktion als Summe von Exponentialfunktionen darstellbar, jede Zahl als Summe von 10er Potenzen und die Ellipse der Planetenbahn als Summe von Kreisbewegungen. Die Fragestellung ist dann vielmehr, wie effizient die Basis zur Beschreibung des Problems ist.
Das Wasserstoffatom als einfachst zusammengesetztes Atom ist das Prototyp-Modellsystem. Aus dem Wasserstoffproblem ergibt sich ein Produktansatz, der Winkelanteil sind Eigenfunktionen des Drehimpulses, dies sind Kugelflächenfunktionen in einem Kugelkoordinatensystem. Der Radialanteil wird aus Laguerre-Polynomen gebildet. In der Kombination daraus ergibt sich die exakte Lösung der Schrödingergleichung für ein Elektron in einem Coulombpotential eines unendlich schweren Kerns
Wie ergeben sich die Verhältnisse beim nächsten Element, Helium? Nun, eine Textbuchvorgehensweise ist es die Lösung aus einem Wasserstoffproblem und einem Zusatzterm, der die Abstoßung der beiden Elektronen berücksichtigt, mit Hilfe der Störungstheorie zu entwickeln. Danach wird die Lösung noch um Z variiert um einen brauchbaren Wert für die Energieniveaus zu erhalten. Aber selbst mit höheren Ordnungen der Störungstheorie werden die Werte nicht besser und konvergieren schlecht zu den experimentellen Ergebnissen. Schon in den 20iger Jahren des vorigen Jahrhunderts erkannte Hylleras, dass eine Variation der Wellenfunktion aus Polynomen mit 5 freien Parametern sehr gute Übereinstimmung liefert. Für Elemente mit noch mehr Elektronen wird dies aber schnell unpraktikabel, da jede Elektron-Elektron Wechselwirkung explizit parametrisiert werden muss. Nichtsdestotrotz liefern Hylleraas erweiterte Methoden für Helium gültige Vorhersagen bis in den Nanohartreebereich und auch für Lithium brauchbare Energiewerte.
Slater schlug vor, für Mehrelektronensysteme Exponentialfunktionen zu verwenden, die den korrekten Abfall der Wellenradialfunktion im Limes für große Abstände zeigen . Mit der Hartree-Fock Theorie dazu ergibt sich die Wellenfunktion aufgebaut aus der Determinante von Einzelelektronenfunktionen, die nur mit einem mittleren, der Summe aller anderen Elektronen gebildeten elektrostatischem Feld, wechselwirken. Geht man auch noch davon aus, dass Spin-Up und Down Elektronen gleich Energie besitzen, kann man mit der Restricted Hartree Fock Methode eine solche Variation durchführen. Dies ergibt für Kalzium, dessen Grundzustand ein Singulett
mit gesättigten Spins und abgeschlossener
Schale (Bunge):
CALCIUM, Z=20 [Ar]4s(2) 1S TOTAL ENERGY KINETIC ENERGY POTENTIAL ENERGY VIRIAL RATIO -676.7581817 676.7581767 -1353.516358 -2.000000007 RHOat0 = 33430.819 Kato cusp = 2.001880 1s 2s 3s 4s ORB.ENERGY -149.363724 -16.822743 -2.245375 -0.195529 0.077301 0.363504 1.159424 4.218469 0.008023 0.156172 1.546005 20.453178 ˂1/R˃ 19.541934 4.040857 1.188772 0.299738 ˂1/R^2˃ 769.407364 67.045590 8.399576 0.535034 1S 17.6670 1.176575 -0.341543 -0.117803 0.028125 2S 24.5295 -0.119414 -0.019904 -0.010168 0.002534 2S 7.2525 0.000730 1.150570 0.468206 -0.113880 3S 21.3493 -0.086509 -0.033142 -0.016715 0.004109 3S 3.6185 0.000185 -0.000762 -0.640251 0.179379 3S 2.6126 -0.000097 0.001467 -0.441778 0.115506 4S 8.7808 0.000145 -0.068959 0.043103 -0.014022 4S 6.0113 -0.000317 0.016219 -0.064309 0.020813 4S 1.5770 0.000021 -0.000184 -0.001947 -0.331747 4S 1.0566 -0.000015 0.000124 0.000314 -0.522462 4S 0.7584 0.000005 -0.000044 -0.000058 -0.257798 2p 3p ORB.ENERGY -13.629270 -1.340706 0.326869 1.274550 0.131725 1.908061 ˂1/R˃ 3.944088 1.058811 ˂1/R^2˃ 21.491321 2.462364 ˂1/R^3˃ 183.014479 17.738971 2P 28.8909 0.001400 -0.000342 2P 11.9319 0.348898 -0.076856 2P 6.0967 0.406540 -0.433592 2P 2.5605 0.003420 0.877080 3P 9.4272 0.300142 -0.015449 3P 2.1782 -0.000861 0.312083 3P 1.3295 0.000083 0.020164
Die 20 einzelnen Elektronen sind ununterscheidbar. Aber in unserer Slaterbasis, mit Parametern aus der ersten Spalte und den Linearkombinationskoeffizienten in den folgenden Spalten kann man "Orbitale" aus 1s, 2s, 3s, 4s (kugelsymetrisch) und jeweils 3x 2p und 3p bauen - dies sind insgesamt 10 (20 mit Spin) gedachte Konfigurationen, die die Gesamtenergie bestmöglich minimieren. Die Slaterbasis hat aber einen entscheidenden Punkt der Wasserstoffbasis aufgegeben - es gibt keine radialen Knoten mehr.
Für die numerische Berechnung müssen viele Zweizentrenintegrale gelöst werden. Dies ist für Exponentialfunktionen nicht trivial und es entstehen auch Rundungsfehler. Die Revolution der Quantenchemieprogramme setzte ein, als man daran ging die Slaterorbitale (STO) durch Summen von Gaussfunktionen zu approximieren. Zwar entsteht dadurch eine Basis, die nicht mehr so schnell konvergiert. Aber durch die einfachere numerische Berechnung durch Ausnutzung von Faltungssätzen kann extrem viel Rechenzeit gespart werden, sodass um Zehnerpotenzen erweiterte Basissätze praktikabel werden und Rechnungen mit Gaußorbitalen (GTO) STOs sowohl in Genauigkeit und Geschwindigkeit überholt haben. Jedoch gibt es im Bezug der Lösungen zum Limes des Kernabstands weitere Einschränkungen: Für , das ist der sogennante "Cusp", kann nie der analytische Wert erreicht werden. Für
fällt die Wellenfunktion zu schnell ab.

Slater type orbitals (STO )versus Gaussian type orbitals (GTO)
RHF/GTO
Zumeist geht es um die Vorhersage von chemischen Bindungen. Deshalb wird oft eine Basis verwendet, die wenig Freiheitsgrade für die inneren Kernelektronen vorsieht, da ihre abgeschlossenen Schalen nichts zur Molekülbindung beitragen. Die Valenzelektronen erhalten dagegen größere Flexibilität, um auch Anregungen in höhere Zustände und Polarisierungen abzudecken. Um weiters mit einer akzeptablen Rechenzeit zu hantieren, muss ein Kompromiss zwischen Anzahl der enthalten Funktionen der nicht vollständigen Basis und Genauigkeit geschlossen werden - eine Optimierung, die der Autor des Basissatzes auch an Hand vorausberechneter Molekülgeometrien trifft.
Für Kalzium ergeben sich mit einem cc-pwCVTZ Basissatz eine Gesamtenergie von E(RHF) = -676.757937 Hartree (ein Unterschied von 0.24 mH zur STO Rechnung), und die einzelnen Energien sind:
Alpha occ. eigenvalues -- -149.36373 -16.82275 -13.62926 -13.62926 -13.62926 Alpha occ. eigenvalues -- -2.24536 -1.34069 -1.34069 -1.34069 -0.19553 Alpha virt. eigenvalues -- 0.02257 0.02257 0.02257 0.06297 0.09729 Alpha virt. eigenvalues -- 0.09729 0.09729 0.09729 0.09729 0.15410 Alpha virt. eigenvalues -- 0.15410 0.15410 0.21505 0.21505 0.21505 Alpha virt. eigenvalues -- 0.21505 0.21505 0.29310 0.54221 0.54221 Alpha virt. eigenvalues -- 0.54221 0.54221 0.54221 0.54221 0.54221 Alpha virt. eigenvalues -- 0.65866 0.65866 0.65866 0.65866 0.65866 Alpha virt. eigenvalues -- 0.68427 0.68427 0.68427 1.33841 2.29646 Alpha virt. eigenvalues -- 2.29646 2.29646 2.29646 2.29646 2.29646 Alpha virt. eigenvalues -- 2.29646 2.55311 2.55311 2.55311 2.55311 Alpha virt. eigenvalues -- 2.55311 2.65570 2.65570 2.65570 8.09015 Alpha virt. eigenvalues -- 8.28779 8.28779 8.28779 8.28779 8.28779 Alpha virt. eigenvalues -- 9.50102 9.50102 9.50102
Atomorbitale
Die Orbitale lassen sich visualisieren, indem eine Grenzfläche für alle Orte mit gleichem beliebigen Wert gezeichnet werden. Für einen Isowert von 0.02 ergeben sich folgende Darstellungen:
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1 s
Die erste s-Schale ist am Tiefsten gebunden und besitzt eine Energie von -149.36373 H.
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2 s
Die zweite Periode beginnt mit der s-Schale und ist mit -16.82275 H gebunden.
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2 p
In der Hartree-Fock Rechnung ist der nächste Energiewert dreifach entartet mit -13.62926 H. Aus der Visualisierung lassen sich p-artige Orbitale in den 3 Raumrichtungen zuordnen ,
,
.
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-13.62926
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-13.62926
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-13.62926
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3 s
Die 3. Periodenreihe beginnt wieder mit der s-Schale und ist mit -2.24536 H gebunden.
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3 p
Die 3p-Niveaus sind wieder 3fach entartet mit -1.34069 H. Dies ist die letzte Kernschale.
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-1.34069
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-1.34069
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-1.34069
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4 s
Die 4. Periode beginnt mit der -0.19553 H gebundenen s-Schale. Kalzium füllt diese Valenzschale vollständig, damit sind mit den 20 Elektronen bis dahin alle Schalen gefüllt und der Spin gesättigt.
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-0.19553
Virtuelle Niveaus
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4 p
Die virtuellen Niveaus sind unbesetzte, mögliche Anregungen des Kalziumatoms. Diese müssen nicht notwendig der Ordnung im Periodensystem folgen, hier ist zuerst eine Anregung in ein p-Niveau mit 0.02257 H "günstiger".
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0.02257
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0.02257
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0.02257
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5 s
Danach kommt wieder ein Orbital mit sphärischer Geometrie und 0.06297 H.
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3 d
Das nächste Energieniveau mit 0.09729 H ist fünffach entartet. Dies sind d-Orbitale. Um eine reelle Wellenfunktion zu erhalten, sind dabei mehrere geeignet kombiniert: . Je nach den tatsächlichen Linearkombinationen können diese leicht von der Symmetrie abweichen.
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0.09729
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0.09729
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0.09729
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0.09729
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0.09729
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5 p
Bei 0.15410 Hartree finden sich drei p-Orbitale.
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0.15410
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0.15410
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0.15410
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4 d
Anschließend die d-Orbitale bei 0.21505 H.
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0.21505
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0.21505
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0.21505
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0.21505
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0.21505
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6 s
Das 6 s Orbital beträgt 0.29310 H.
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0.29310
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4 f
Der nächste Energiewert ist 7-fach entartet bei 0.54221 H. Es ergeben sich Orbitale mit f-Symmetrie. Deren reellen Linearkombinationen sind um einiges komplizierter: .
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0.54221
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0.54221
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0.54221
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0.54221
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0.54221
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0.54221
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0.54221
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Weitere virtuellen Orbitale
Die weiteren Energieeigenwerte der self consistend field (SCF) Rechnung ergeben 5x 0.65866 H, das sind 5 d-Orbitale, 3x 0.68427 H, das sind 6p, 1.33841 H, das ist 7s, 7x 2.29646 H, das sind 5f, 5x 2.55311 H, entsprechend 6d, 3x 2.65570 H, das ist wiederum 7p, 8.09015 H, ein 8s, 5x 8.28779 H, das kann man mit 7d identifizieren und schlussendlich 3x 9.50102 H, 8p entsprechend. Die Anzahl der virtuellen Niveaus steigt mit der Größe des Basissatzes. Man benötigt sie insbesondere zur Berechnung von Polarisierungen und Van-der-Waals Potentialen.
Ionisierungsenergie
Die Energien der besetzten Orbitale lassen sich nun mit den gemessenen Ionisierungsenergien vergleichen:
Ionisierungsenergie | 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9 | 10 | 11 | 12 | 13 | 14 | 15 | 16 | 17 | 18 | 19 | 20 |
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
eV | 6.11316 | 11.87172 | 50.9131 | 67.27 | 84.50 | 108.78 | 127.20 | 147.24 | 188.54 | 211.28 | 591.9 | 657.2 | 726.6 | 817.6 | 894.5 | 974 | 1087 | 1157.8 | 5128.8 | 5469.9 |
Hartree | 0.22465 | 0.43627 | 1.8710 | 2.47 | 3.11 | 4.00 | 4.67 | 5.41 | 6.93 | 7.64 | 21.8 | 24.1 | 26.7 | 30.0 | 32.9 | 35.8 | 39.9 | 42.5 | 188.5 | 201.0 |
Man erkennt nur eine schlechte Übereinstimmung der Energien mit den berechneten gebundenen Energiewerten aus der HF Rechnung. Koopmans' Theorem garantiert nur eine qualitative Übereinstimmung mit der 1. Ionisierungsenergie, die Elektronenrelaxation führt bei starker Ionisierung zu starken Abweichungen.
Im nächsten Teil der Serie über Quantenchemie beschäftigen wir uns mit der Kombination von Atomorbitalen zu den Molekülorbitalen.